Das historische Stadbild wird entscheidend von den Fassaden der Gründerzeithäuser geprägt. Fenster sind ein wesentlicher Bestandteil dieser Fassade und sollten nach Möglichkeit erhalten bleiben. Das traditionelle Kastenfenster hat noch lange nicht ausgedient. Auch dann nicht, wenn man moderne Standards bezüglich Wärmedämmung und Wohnqualität anlegt.
Das Erscheinungsbild eines Hauses wird zu einem großen Teil von den Fenstern bestimmt. Dies umso stärker je schmuckloser die Fassade ist. Für das Stadtbild sind Art und Ausgestaltung der Fenster im historischen Altbestand ein wesentlicher Faktor.
Dem gegenüber steht die Forderung nach einer optimal gedämmten Gebäudehülle. Eine zentrale Maßnahme zur Verbesserung der thermischen Qualität eines Gebäudes lautet demnach, undichte und schlecht isolierende Fenster zu tauschen. Am besten gegen solche in Passivhausqualität. Kann man beide Forderungen vereinen?
Architektur, Technik und Ansprüche ans Wohnen sind in stetiger Veränderung und entwickeln sich weiter. Ebenso ändern sich Fenster im Laufe der Zeit. In Wien und in anderen Städten finden sich deshalb verschiedene Fensterarten nebeneinander, die allesamt als „historisch“ anzusehen sind. Die älteste Fensterform, die wir im heutigen Stadtbild noch hin und wieder antreffen, sind Einfachfenster. Sie bestehen aus einer einzigen, meist recht dünnen Glasebene. In der kalten Jahreszeit konnte eine zusätzliche Fensterebene außen oder innen vor das eigentliche Fenster gesetzt werden, das so genannte „Winterfenster“.
Ab ungefähr 1800 wurden Kastenfenster konstruiert. Sie bestehen aus zwei voneinander unabhängig zu öffnenden Fensterebenen. Bei der Frühform der Kastenfenster öffnete sich die äußere Fensterebene nach außen und wurde durch einfache Fensterhaken geöffnet und geschlossen. Ab etwa 1860 kamen nach Innen aufgehende Kastenfenster auf. Die weitere Entwicklung ging über Verbundfenster, bei dem innerer und äußerer Flügel miteinander verbunden sind und einen gemeinsamen Drehpunkt haben, bis zum heute gebräuchlichen Mehrscheiben-Isolierglasfenster.
Das klassische Fenster in Wien, wie es vor allem, aber nicht nur, in Wiener Gründerzeitbauten zu finden ist, ist das Kastenfenster. Es prägt gründerzeitliche Straßenzüge durch seine zarte Ausführung von Fensterprofilen und Sprossen, durch die Tiefenwirkung der im Verhältnis zur Fassaden-
ebene etwas versetzten Fensterebene und auch durch die historische Verglasung. Im Unterschied zum heute verwendeten Glas weist historisches Glas kleine Unregelmäßigkeiten auf. Bei Spiegelungen im Fensterglas kommt es deswegen zu Verzerrungen, dies trägt zu einem lebendigen, bewegten Stadtbild bei.
Eigenschaften von Kastenfenster
Wärmeschutz
Kastenfenster mit Innen- und Außenflügeln haben bei gutem Erhaltungszustand einen relativ guten Wärmeschutzwert. Der K‑Wert eines neuen Kastenfensters liegt bei 2,5 W/m2K. Bessere Wärmeschutzeigenschaften können erreicht werden, wenn die Innenflügel des Fensters mit Isolierverglasung versehen werden. Wärmetechnisch gesehen hat dies Vorteile gegenüber nachträglich in ungedämmte Außenwände eingebaute Isolierglasfenster. Bei diesen besteht nämlich die Gefahr von Wärmebrücken und in der Folge von Kondenswasserbildung und Schimmel.
Luftaustausch
Bei der Sanierung von Kastenfenstern werden in den Innenflügeln Dichtungen eingebaut. Öffnet man die Innenflügel, kann durch die weniger dichten Außenflügel ein mäßiger Luftaustausch stattfinden. Dies entspricht der gesundheitlichen Empfehlung von geringem allmählichen Luftaustausch kombiniert mit periodischen Stoßlüftungen.
Lichtsituation
Kastenfenster weisen in der Regel eine zarte Ausführung der Fensterprofile und Sprossen auf. Das wird durch die Verwendung von hochwertigem Holz mit dichten Jahresringen erreicht, vor allem Eiche, Lärche und Kiefer. Moderne Holzfenster werden im Allgemeinen aus Holz geringerer Qualität erzeugt. Das bringt mit sich, dass die Fensterprofile größer ausfallen, wodurch die Glasflächen entsprechen reduziert sind. Das hat auch einen vergerten Lichteinfall zur Folge.
Schallschutz
Kastenfenster haben bedingt durch die beiden weit auseinanderliegenden Fensterebenen sehr gute Schalleigenschaften. Der Schalldämmwert liegt bei ca. 28 bis 32 Dezibel, dies lässt sich durch ergänzende Dichtungen, schallabsorbierende Einlagen etc. noch einmal um 8 bis 10 Dezibel erhöhen. Durch Verglasung der inneren Flügel mit Isolierglas und zweifachen Dichtlippen an den inneren Flügelprofilen können Werte erreicht werden, die
förderwürdigen Schallschutzfenstern entsprechen. Zu beachten ist, dass Innenfenster und Außenfenster unterschiedliche Glasstärken aufweisen, damit schallverstärkende Resonanzen vermieden werden.
Haltbarkeit
Kastenfenster halten 100 Jahre und länger. Voraussetzung ist eine fachgemäße Instandhaltung und Pflege. Ursprünglich wurde das Holz der Kastenfenster mit Leinöl bzw. Leinölfirnis behandelt, um es wasserdicht, witterungs- und fäulnisbeständig zu machen. Diese Materialien sollten auch bei der Instandhaltung verwendet werden. Die Wartung sollte alle zwei bis drei Jahre erfolgen.
Kastenfenster sind in der Anschaffung und auch im Erhalt kostspieliger als Kunststofffenster. Vergleicht man jedoch die Kosten über einen längeren Zeitraum, so zeigt sich, dass sich selbst neu angeschaffte Kastenfenster aufgrund der längeren Lebensdauer durchaus amortisieren können. Die Kosten, die durch Anschaffung, Instandhaltung und Reparatur eines Kastenfensters entstehen, entsprechen in etwa den Kosten eines zweimaligen Fenstertausches von Kunststofffenstern im Zeitraum von 60 Jahren.
Der Erhaltungszustand kann von Fenster zu Fenster in derselben Wohnung unterschiedlich sein, weil die Fenster je nach Exposition und Beanspruchung unterschiedlich rasch altern. Daher sollte der Erhaltungszustand der Fenster einzeln geprüft werden. Damit wird verhindert, das zusammen mit den irreparablen Fenstern auch jene Fenster getauscht werden, die noch in gutem Erhaltungszustand sind.
Kastenfenster sanieren
Wenn bei der Sanierung von Gründerzeithäusern Passivhausqualität angestrebt wird, gibt es bezüglich der Sanierung von Kastenfenstern drei Möglichkeiten, wie Bmstr. DI Helmut
Schöberl beim „Expert*innentalk Hauskunft“ erklärte:
- Tausch des gesamten Fensters gegen Passivfenster
- Austausch der Innenflügel gegen Innenflügel in Passivhausstandard
- Neues Kastenfenster in Passivhausqualität
Um das Erscheinungsbild der Fassade weitgehend zu erhalten, ist der Tausch der Innenflügel eine brauchbare Variante. Dabei bleibt das Außenfenster mit seinem Einscheiben-Glas erhalten, das neue Innenfenster besteht aus Dreischeiben-Isolierglas in Passiv-
haus-Qualität. Falls der Fensterrahmen mit Kunstharzanstrich behandelt wurde, macht sich das Entfernen der alten Beschichtung und eine Neuherstellung mit Ölanstrich bezahlt, um die Elastizität der Beschichtung zu gewährleisten. Bei regelmäßiger Pflege lässt sich die Nutzungsdauer der Fenster entscheidend verlängern.
Auch dekorierte, stark gegliederte Fassaden lassen sich thermisch sanieren. Mit Hochleistungs-Dämmputz (Aerogelputz) lassen sich mit einer ca. 3 cm starken Putzschicht günstige U‑Werte der Fassade erzielen. Zierelemente der Fassade, bei denen es sich großteils um Fertigelemente handelt, können mit Putz nachgebildet und anschließend wieder auf den neuen Fassadenputz appliziert werden. Auch dadurch bleibt das Erscheinungsbild der historischen Fassade erhalten.
Quellen:
Expert*innentalk der Sanierungsberatung Zukunftsfitte Gebäude im Altbau – Schwerpunkt Fenster 25.05.2023
Wiener Fenster – Gestaltung
und Erhaltung. Werkstattbericht
Nr. 140. Download-Link:
https://www.digital.wienbibliothek.at/urn/urn:nbn:at:AT-WBR-627291